Der Besuch der alten Dame

"Gustav Klimt" ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 3_2015 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

Eine Frau geht ihren Weg. Hell leuchtet ihr das symbolische Licht der Gerechtigkeit entgegen. Hinter ihr und ihrem Begleiter zeichnen sich die Schatten der Vergangenheit ab: Hollywood erzählt den Rechtsstreit Maria Altmann vs. Republik Österreich.

An der Fassade des Wiener Rathauses wehen Hakenkreuz-Fahnen, Nazis fahren im offenen Mercedes-Cabriolet durch die Stadt, die Arme zum obligaten Gruß ausgestreckt; Menschenmengen jubeln am Straßenrand. – Wien, 1938? Nein, Wien im Sommer 2014. Wir befinden uns inmitten der Dreharbeiten für den von den Weinstein-Brüdern produzierten Film Women in Gold, der die Geschichte von Maria Altmann und der Restitution von Klimts Goldener Adele erzählt.

Helen Mirren gibt die alte Dame, die an der Seite ihres Anwalts (Ryan Reynolds als Randol Schoenberg*) aus dem kalifornischen Exil in ihre alte Heimat zurückkehrt, um für ihr Recht zu kämpfen. Daniel Brühl spielt den Journalisten und Verleger Hubertus Czernin, der mit seinen Recherchen bezüglich der Provenienz enteigneter Kunstwerke die Angelegenheit ins Rollen brachte.

Österreichische Medien sprechen angesichts des Drehs von einem „Kunstkrimi“ und titeln: „Woman in Gold: Produzenten von Wien begeistert.“
Das gesamte Land liefert die Vorlage zum Plot, die Stadt stellt die Kulissen, die Traumfabrik ist zu Gast. – Wenn das kein Grund ist, stolz zu sein.

Um die Bürger und Bürgerinnen auf die gespenstische Verwandlung des öffentlichen Raums, das NS- Flashback vorzubereiten, verlautbarte der Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien im Juni des vergangenen Jahres: „Erfolg für die Filmstadt Wien: Hier wird zur Zeit die international besetzte Filmproduktion Women in Gold gedreht. [...] Das Wiener Rathaus dient dabei unter anderem als historische Kulisse. Heute, Sonntag, finden im Bereich Felderstraße groß angelegte Dreharbeiten statt. Der Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien wird hier nachgestellt, um geschichtliche Authentizität wahren zu können, werden nationalsozialistische Symbole und in NS-Uniform gekleidete Schauspieler realistisch in Szene gesetzt.“
Was wohl soviel heißen sollte wie: keine Panik. Alles nur eine detailgenaue Reinszenierung im Namen des kollektiven Gedächtnisses, keine Gefahr im Verzug – weit und breit keine echten Nazis in Sicht.

Wir werden sehen, ob die Hollywood-Dramaturgie rund um die „Mona Lisa of Austria“ den Opfermythos bezüglich der Annexion Österreichs weiterschreibt. Es bleibt abzuwarten, welche der beschämenden Tatsachen des Umgangs des Staates in Restitutionsfragen und mit den Erben nach Bloch-Bauer Eingang in die Inszenierung finden.

„Based on the incredible true story“, verrät das Eingangsinsert des Trailers zur Produktion, die Anfang April in den US-amerikanischen Kinos anläuft: „To restore her families past / an unlikely pair / will change history.“ – Das klingt vollmundig, umfassend. Da hat man sich einiges vorgenommen.

Das (US-)Filmplakat zeigt eine Rückenansicht der Protagonisten, Maria Altman und Randol Schoenberg auf dem Weg in hellere Gefilde – in das symbolische Licht der Aufklärung und Gerechtigkeit, wenn man so will. Hinter ihnen zeichnen sich ihre Schatten als dunkle, harte Linien ab. Sie verschränken sich, bilden – ein Hakenkreuz, was sonst. Die sprichwörtlichen Schatten der Vergangenheit liegen hinter ihnen: ganz klar. Warum aber ihre Silhouetten, ihre eigenen Körper diesen spezifischen Symbolschatten werfen, wird wohl ewig ein Rätsel und letztlich das Geheimnis der verantwortlichen PR-Abteilung bleiben.
Über dem Motiv prangt die Appetizer-Line: „The fight for justice never ends.“ – Eine griffige Ansage, die affektreiches Raubkunstkino à la Hollywood nahelegt.

Nun, falls nach Monuments Men und The Women in Gold der ein oder andere Produzent schon auf der Suche nach der nächsten „incredible true“ Story sein sollte: In Österreich werden sie auch weiterhin fündig!
Anbieten würde sich beispielsweise die Geschichte rund um den Filmemacher Gustav Ucicky; NS-Filmpropaganda, eine dubiose Stiftung und eine weiteres Klimt-Gemälde inklusive. In jedem Fall empfehlenswert ist diesbezüglich die „Free Gertrud“-Inititative, mit der der Künstler Arye Wachsmuth auf Facebook in Sachen Restitutionsfall Gertrud Felsövanyi/Loew Online-Bewusstseinsbildung betreibt.

*Randol Schoenberg hat auf Youtube ein Interview mit Maria Altmann (im Gespräch mit Mary Rothschild, Shoah Foundation, 1996) sowie die Dokumentation Art of the Heist: The Lady in Gold geteilt.

[wina - 3.2015]



Die Bilder können ja nichts dafür

Kunsthaus Zürich

Kunsthaus Zürich, Sammlung Merzbacher

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 11_2021 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

“Die Zukunft ist mir der Lebensweise der Viren näher verwandt als mit der des Menschen oder seiner Denkmäler.” (Emanuele Coccia)

Das offizielle Zürich ist stolz, wurde doch jüngst der Erweiterungsbau des Kunsthaus Zürich, der jahrelang für Diskussionsstoff gesorgt hatte, feierlich eröffnet. Auf dem Programm standen Previews für die Financiers und VIPs, exklusive Dinners für Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Kultur – und ein Open-House-Weekend für die Bevölkerung. Nach der obligaten Covid-Zertifikatsüberprüfung samt Identitätscheck darf das massive Portal, das anmutet wie das repräsentative Entree einer Schweizer Großbank, betreten werden. Im riesenhaften Foyer herrscht lebhaftes Getümmel – ganz großer Luxusbahnhof, Eventcharakter inklusive. Menschen drängen sich maskenlos dicht aneinander durch die hohe Eingangshalle, das massive Treppenhaus, die Ausstellungsräumlichkeiten, die endlosen Flure, vorbei an den Schätzen der Kunstgeschichte und durch die aktuelle Ausstellung Earth Beats, eine Themenschau zum Wandel des Bildes der Natur in der Kunst. — mehr —


Alles bleibt wie´s ist

"Breaking News / Amnesia" ©Paul Divjak

“Breaking News / Amnesia” ©Paul Divjak

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 10_2019 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Kurt Tucholsky

Sie fordern unsere Aufmerksamkeit, wollen unsere Stimmen, um sich dann weiter in unnötigen Animositäten und Machtkämpfen zu verzetteln, Angst in Bezug auf Verteilungsgerechtigkeit und die Zukunft zu kreieren und geeintes Handeln in Bezug auf dringlichste, die Menschheit herausfordernden Thematiken zu verunmöglichen. Diese nicht enden wollende Polit-Nonsens-Show auf allen Kanälen ist unerträglich. — mehr —


Destination Wien 2015

Wien; Heldenplatz (2013) ©Paul DivjakWINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 5_2015 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

Wien scheint immer noch unter einer Glocke der denkmalgeschützten Historie zu schlummern. – Bisweilen aber erschließen sich auch in der Erinnerungskultur erweiterte, neue Perspektiven.

Die Tage rumorte es wieder einmal im Archiv; das Video Heldenplatz, 1973 kursierte im Netz, zog seine Spur durch die sozialen Plattformen. Zum Vorschein kam eine nur auf den ersten Blick unscheinbare ORF-Interviewserie, entstanden Anfang der Neunzehnsiebzigerjahre auf dem Wiener Heldenplatz. Was sich als alpenländische Tableaux Vivants vor dem Hintergrund des historischen Ortes auftat, hätte prototypische Alltagsfaschismusfolie für Qualtingers „Herrn Karl“ oder Thomas Bernhards 1989 uraufgeführtes gleichnamiges Theaterstück sein können. — mehr —


Auf der Suche nach neuen Erzählungen

"Lichtgrenze" beim Brandenburger Tor, Berlin (anläßlich 25 Jahre Mauerfall) ©Paul Divjak

“Lichtgrenze”, Berlin (2014)

WINA – DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN 5_2016 | URBAN LEGENDS | PAUL DIVJAK

„Tomorrows unitary world is in need of transcendence and liberation from a thinking in opposites.“ George Czuczka

Weltanschauungen lassen sich nicht verordnen. Aber es lassen sich gesellschaftliche Bedingungen schaffen, die zur Veränderung von tradiertem, vorurteilsbehaftetem Denken beitragen.

Wir sind überinformiert – und empfinden uns zunehmend als machtlos. Entscheidet man sich für den Medienkonsum, lassen einem Quantität und Komplexität des real existierenden Wahnsinns keine Verschnaufpause. Und die schlimmsten Bilder erreichen unser Bewusstsein gar nicht mehr. — mehr —