Jenseits des Frustprinzips

Rauchzeichen und Passivbelastung

DER STANDARD | EDLINGER & DIVJAK | GEMISCHTER SATZ

Edlinger: Herr Divjak, nicht nur die Chinesen hatten ihre Kulturrevolution. Bei uns Europäern kann es auch recht rabiat zugehen. Es ist noch gar nicht so lange her, da durfte Rauchen sogar noch Spaß machen. Da wurden die Junkies noch nicht zur Volksbelustigung in abzugsfreien Räucherkammern geselcht und durften den harten Stoff einfach so in Trafiken erwerben.

Analog zum Mao-Look diskutiert man jetzt endlich auch die von Philipp Morris in Australien schon beklagte Zigaretten-Einheitspackung mit staatlich geprüfter Totenschädelgrafik und ein generelles Rauchverbot in Autos, damit die Klimaanlage nicht am Ende noch passivrauchen muss. Aber am skurrilsten ist die neue Sicherheitszigarette, bei der man anziehen muss wie böse, damit sie nicht ausgeht.

Da fragt man sich schon: Was ist eigentlich das Ziel von Sicherheitswahn und Anti-Raucherhysterie? Geht es nur mehr um die fadenscheinig volkswirtschaftlich verbrämte Lust der Rauchblockwarte an der Unlust der Raucher? Sind die am Ende gar neidisch auf all das, was mit dem Rauchen verbunden wird?

Will man, dass die Raucher noch mehr gedemütigt (und gesundheitlich geschädigt) werden, weil sie nun andauernd an der Glut hängen müssen? Und bringt man mit den immer nur auf Nichtraucherschutz abzielenden Raucherbevormundung den Raucher, der heute eh andauernd an das Aufhören denkt, nicht um seinen letzten Triumph – nämlich aus freien Stücken aufhören zu können und nicht, weil es ein anderer vorschreibt?

Divjak: Herr Edlinger, ein sehr kluger Kopf hat einmal festgestellt, dass es keine individuellen Lösungen für systemische Probleme gibt. Bei der Dämonisierung des Rauchens heißt das wohl: selbst wenn der Einzelne, ob Gelegenheitsgenießer oder nikotinabhängiger Kettenhund, den Griff zum Qualmstengel aufgibt, so ist das der Volksgesundheit Powidl. Weil sich’s bei der künstlich geschürten Hysterie nämlich um eine riesenhafte Alibiaktion handelt, einen einzigen gesellschaftlichen Symptomverschiebungsschachzug.

Wir alle sind passivbelastet, pausenlos Schadstoffen ausgesetzt. Die Tschik ist bloß ein Emissions-Lercherlschas. Dieser Tage hatten wir im Ballungsgebiet eine Feinstaubbelastung in der Höhe des dreifachen Grenzwertes. Und was platziert der staatliche Rundfunk in der ZIB 2? Eine Juxmeldung mit ausgefuchstem Victim-Blaming. Horrorluft in der Stadt! Aber keine Bange: Die Experten wissen, was zu tun ist! Vermeiden sie Bewegung im Freien! Den im Beitrag interviewten Joggern wird dann noch Lebensmüdigkeit unterstellt.

In diesem Sinne versteht sich, dass alle Innenräume strikt rauchfrei werden müssen. Weil draußen hinkünftig das Atmen immer unmöglicher wird.

[DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 26./27. November 2011]



London Calling!

Hoodies unter dem Auge des Gesetzes

DER STANDARD | EDLINGER & DIVJAK | GEMISCHTER SATZ

Edlinger: Herr Divjak, irgendwer hat doch einmal gesagt: Es kommt nicht darauf an, ob man paranoid ist. Es kommt darauf an, ob man paranoid genug ist. In England ist jetzt endlich einmal ein Beleg für diese Behauptung aufgetaucht, die in gewöhnlich gut mit Gerüchten abgefüllten Kreisen ja immer wieder gern gehört wird.

Die Londoner Stadtpolizei hat in einem Problemviertel in Norden der Stadt einen Plattenladen namens “Boombox” aufgezogen. Dort wurde dann über ein Jahr lang mit Überwachungskameras beobachtet, wie die Kids in ihren Hoodies ein und aus gingen und ein paar von ihnen sich mehr für Waffen und Drogen interessierten als für Gangsta-HipHop.

Die Metropolitan Police ist so stolz auf ihre Undercover-Aktion, dass sie Details sogar auf ihrer Website vermeldet. Auf Twitter hat jemand angeblich gemeint, eigentlich hätte man als eines der 37 schuldig gesprochenen Gang-Mitglieder schon auch misstrauisch werden müssen, wenn ausgerechnet in Zeiten der Download-Depression ein Plattenladen aufmacht. Würde mich zudem interessieren, was wohl für Platten verkauft wurden? — mehr —


Kunst kommt von Kaufen

Die Subversion von Angebot und Nachfrage

DER STANDARD | EDLINGER & DIVJAK | GEMISCHTER SATZ

Edlinger: Herr Divjak, ich glaube, niemand lebt so gut von der Kunstmarktkritik wie die selbst am Kunstmarkt gut vertretenen Künstler, die Kunstmarktkritik betreiben. Diese Woche hat zum Beispiel Heimo Zobernig ein T-Shirt mit dem silbernen Aufdruck Sale veredelt und im neuen 21er-Haus als Serienprodukt herausgebracht. Die auf 100 Stück limitierten blauen Leiberln kosteten am Tag der Präsentation statt der für die Edition veranschlagten 100 Euro nur – bzw. immer noch – 50 Euro.

Die Verknappung kurbelt im Allgemeinen die Nachfrage an; weil hier aber nicht nur Mode mit Kunst-Appeal, sondern auch die Subversion der Idee des Verkaufs verkauft werden soll, wird ebendieser Mechanismus der Nachfrageankurbelung durch Exklusivitätserzeugung zugleich ironisch kommentiert. — mehr —