Licensed To Ill

Zum Tod des Großmeisters der Zeremonie Adam Yauch

"Licensed to Ill" - wina, 6.2012 ©Paul Divjak[Erschienen in: wına – Das jüdische Stadtmagazin | Juni 2012]

Jene Nummer, die die Beastie Boys – damals noch als Punk-Band – in der High School 1983 intoniert hatten, sollte schon wenig später zu ihrem offiziellen Programm werden: „We’re the white shadow“, singt Mike D. aka Michael Diamond. Am Schlagwerk, temporär: Kate Schellenbach, die spätere Drummerin von Luscious Jackson, an der Stromgitarre John Berry und am Bass: Adam Yauch alias MCA.

John Berry verließ die Band, und Adam Horovitz (Ad-Rock) übernahm seinen Part. Der Rest ist Hip-Hop-Geschichte. Die drei weißen Jungs aus Brooklyn, NY, wilderten in einem Genre, das in der Black Community entstanden war, kreierten einen neuen Sound und schafften, was zu jener Zeit, Anfang der 1980er-Jahre, doch eher die Ausnahme denn die Norm war: Sie sprachen mit ihrem innovativen Hip-Hop-Rock-Crossover ein multiethnisches Publikum an, verwöhnten die juvenilen Fans mit expliziten Lyrics und vereinten sie auf den Tanzflächen der Clubs, auf Partys und im Rahmen ihrer legendären Live-Performance-Spektakel beim gemeinsamen Luftgitarre-Spielen, ekstatischen Mitwippen und -grölen sowie enthemmten Bierbecherweitwerfen.

„I’m gonna die gonna die one day ’cause I’m goin’ and goin’ and goin’ this way.“ Adam Yauch, aka MCA –  The Sound of Science

„The best Jews since Jesus“ sagen die einen über die Beastie Boys. „Yauch, Diamond and Horovitz weren’t Matisyahu, but they embraced their yiddishkeit“ die anderen. Und wieder andere bringen es auf den Punkt und meinen ganz einfach: „Beastie Boys rule!“

„There was something about MCA that I always liked“, stellt der popkultur- und technikaffine Rabbi Jason Miller aus Michigan, der für die New York Jewish Week und die Huffington Post schreibt, stellvertretend fest.

Und tatsächlich: Jedes der drei Bandmitglieder war von Anfang an auf seine ganz persönliche Art „cool“. Adam Yauch aber, mit seinem verwegenen 3-Tage-Bart und seinen souveränen, lässig-schlacksigen, das authentische Posen-Gehabe aufs Korn nehmenden Quasi-Rapper-Moves, war für viele schon vom ersten Moment an der zeremonielle Mittelpunkt, der Großmeister des kultiviert-subversiven Auszuckens, des poprituellen Abfeierns als Gegenentwurf zum parentalen Business of Living. Im Lauf der Jahre hat er, auch abseits der Bühne in Interviews, durch seine herzliche Gelassenheit, seine humorvolle, sympathische Art und sein freudvolles Lächeln die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. So gar nicht von der Pop-(Image-)Maschinerie kaputt gemacht, war Adam Yauch, der Star, vor allem eines: ein Mensch – und zwar einer von den Guten.

Yauchs Krebstod Anfang Mai 2012, mit gerade einmal 47 Jahren, trifft neben seiner Familie und seinen Freunden mehrere Generationen von ehemals und gegenwärtig Pubertierenden, deren Leben vom Soundtrack und dem medialen Referenzuniversum der sich musikalisch stetig weiterentwickelnden New Yorker Musiker geprägt und begleitet worden ist.

Es war stets ein energiegeladenes Lebensgefühl, das die Beastie Boys mit ihrer Musik auf den Punkt brachten

You talk, you talk, you just can’t stop … Adam Yauchs etwas kratzige Stimme, sein spezielles, heiseres Timbre erdet die Songs mit seinem charakteristischen Sprechgesang, um kurz darauf mit seinen zwei Mitstreitern im anarchistischen, von Filtern und Effekten geprägten Wortgefecht Megaphonhysterik zu verbreiten und chorale Hooklines abzufeuern.

So gar nicht von der Pop-(Image-)Maschinerie kaputt gemacht, war Adam Yauch, der Star, vor allem eines: ein Mensch – und zwar einer von den Guten.

Dass Yauch und seine Wegbegleiter Spaß an der Sache hatten, hörte man. Und das sah man auch.

Der kreative Allrounder Yauch, Musiker, Begründer einer Independent-Film-Company und der Milarepa Foundation, mit der er unter anderem die Free-Tibet-Konzert­serie ins Leben gerufen hatte, zeichnete unter seinem Pseudonym Nathaniel Hörnblowér auch als Regisseur für einige der, oftmals bewusst trashigen, selbstironischen, mit popkulturellen Versatzstücken gespickten, ikonografischen B-Movie-Verkleidungsvideokaskaden der Band verantwortlich – unter anderen Intergalactic oder Body Movin. Auch das aufwendige, finale 30-Minuten-Epos Fight for your right – Reloaded samt Narrationsappendix Make some noise (2011), in denen ein Hollywood-Staraufgebot antritt, um das musikalische Œuvre der ewig bösen Jungs, die doch eigentlich nur spielen wollen, zu beleben und ihm gleichzeitig seine Referenz zu erweisen, ist unter seiner Ägide entstanden.

Da klettern Elijah Wood, Danny McBride und Seth Rogen als Beastie-Boys-Klone aus dem Trockennebel der Vergangenheit, um im Hier-und-Jetzt als jugendliche Delinquenten ihre Idee von feucht-fröhlichem Anar­chospaß im öffentlichen Raum auszuleben.

In der Schlusssequenz – inszeniert als klassisches Showdown à la High Noon – hält ein DeLorean, direkt zurück aus der Zukunft: Ihm entsteigen drei weitere – gealterte, fett gewordene Beasties: Will Ferrell, John C.Reilly und Jack Black.

Jede der Belegschaften erklärt mit Nachdruck, bei ihr handle es sich um „the real Beastie Boys“. In einer klassischen Freestyle-Breakdance-Battle soll die Legitimität der Behauptung auf den Hip-Hop-Thron bewiesen werden. Auf einer schachbrettgemusterten Unterlage stellen die Herausforderer skurrile Verrenkungen als Beweismittel zur Schau.

„Sense is something you can’t even make sense of until you’ve been to the future and spent some time there“, verkündet Jack Black als Yauchs Alter Ego vollmundig. – Keiner versteht ihn. Und alle tanzen.

Angesichts des Todes von Yauch wird die fiktive Verdoppelung der Band, die leichtfüßig in Szene gesetzte, narrative Präsenz von Vergangenheit und Zukunft der Protagonisten, zum opulenten Vermächtnis des Regisseurs und Musikers, zu einer Eloge, in der sich die vielgesichtige Gestaltungsfreude des kreativen Trios ein letztes Mal verdichtet und die an das Mögliche erinnert – gleichsam als augenzwinkernder Trost für all jene, denen Adam Yauch und die einzig wirklich wahren Beastie Boys hinkünftig verdammt fehlen werden.



Wunschmaschine Jerusalem

Souvenirs: Jerusalem

Ausstellung/Detail: Souvenirs aus Jerusalem

[WINA - DAS JÜDISCHES STADTMAGAZIN | September 2015]

Das Jüdische Museum Hohenems unternimmt mit der Ausstellung “Endstation Sehnsucht. Eine Reise durch Yerushalyim–Jerusalem–Al Quds” eine symbolische Tour de Force durch die Heilige Stadt.

Von Paul Divjak

Draußen drückt die trockene Hitze, vor der ehemaligen Villa Heimann-Rosenthal steht die Sonne hoch am Firmament, und man meint bereits im Vorfeld, im Garten des Museums, die Gerüche Jerusalems wahrzunehmen; lagen da nicht eben Spuren von Koriander und Kardamom in der Luft? Das Aroma von Kreuzkümmel und gebackenem Pita-Brot, eine Idee von Etrog, Weihrauch und Haschisch, erhitztem Stein und Pinien? — mehr —


“Klappern Sie jetzt alle betagten Juden ab?”

©Czernin Verlag

©Czernin Verlag

[WINA - DAS JÜDISCHE STADTMAGAZIN | April 2013]

“Das Zeitalter der Verluste: Der neue Interviewband von Thomas Trenkler gibt Einblick in die Lebenswege von Holocaust-Überlebenden und Nachgeborenen.

Von Paul Divjak

Nie möchte man in eine Welt geboren sein, in denen Menschen so etwas wie den Holocaust ermöglicht haben, darin steckt eine tiefe Sehnsucht, eine Utopie. So könnte man es ausdrücken, den Filmemacher Werner Herzog paraphrasierend. Die Frage, ab wann wer gewusst hatte, was passierte, damals vor 75 Jahren, und wie man reagierte, wird von Thomas Trenkler in seinem Band “Das Zeitalter der Verluste” (Untertitel: “Gespräche über ein dunkles Kapitel”) immer wieder gestellt. — mehr —


Eine Landvermessung mit Soundtrack

Atlas Austria – Architekturfotografie von Margherita Spiluttini im Architekturzentrum Wien

[In: werk, bauen + wohnen, 09/2007]

Die bekannte Daguerreotypie vom Boulevard du Temple, Ursprungsmotiv der Genealogie der Fotografiegeschichte, zeigt einen menschenleeren Boulevard. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war der Strassenzug voller Menschen, Pferden, fahrbaren Untersätzen. Die extrem lange Belichtungszeit allerdings liess jegliches Leben verschwinden. Bewegung erzeugt Unschärfe und führt schliesslich zu Unsichtbarkeit. (Lediglich ein Mann, der längere Zeit dieselbe Position innehatte, hinterliess unbeabsichtigt sichtbare Spuren seiner Präsenz.)

Auch in Margherita Spiluttinis Bilderwelt, in ihr Archiv präziser Bestandsaufnahmen des Hoch- und Tiefbaus in der Disziplinar- und Kontrollgesellschaft, schreibt sich der Mensch zumeist durch seine Abwesenheit ein. Das fotografische Dispositiv bleibt menschenleer. Die Bewohner der Bauten, die Benutzer der architektonischen Oberflächen waren entweder zum Zeitpunkt des Lichteinfalls zwischen Öffnen und Schliessen des Verschlusses tatsächlich nicht anwesend, oder sie sind es letztlich nicht mehr. Privathäuser, öffentliche Gebäude, Industriebauten, Zweckarchitektur: allesamt Zeichen der Zeit, Repräsentationen von Machtverhältnissen, von Menschen geschaffen. Spiluttini betreibt mit ihrer Fotografie ausführliche Motivforschung in der Alpenrepublik. Ihre menschenverlassenen Settings könnten mitunter den flüchtigen Schatten des literarischen Personals einer Elfriede Jelinek Herberge sein.
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Forschungsreise an den Anfang der Architektur

Zur Ausstellung «Architektur beginnt im Kopf» im Architekturzentrum Wien

Architektur

[werk, bauen + wohnen 1/2-2009]

Manche greifen zum Gewehr, um anhand der Einschusslöcher Formfindung zu betreiben und zu Deleuze oder Foucault, um die Ideenfindung zu beschleunigen (R & Sie(n)). Andere züchten im grossen Stil Orchideen im Büro (Lacaton & Vassal) oder widmen sich dem Spiel mit Lego-Steinen, um bisher unentdeckte Synapsenverbindungen auszuloten (Edge Design Institute). Mancher sind die besten Gedanken stets im Liegen gekommen (Lux Guyer), für eine andere nahm der offene Kamin, an dem sie mit ihren MitarbeiterInnen diskutierte, eine wesentliche Schlüsselfunktion im Rahmen des «kleinen sozialistischen Projekts» und des konkreten Entwurfsprozesses ein (Lina Bo Bardi).

Architekten ticken verschieden. Fest steht, dass der Anfang der Idee, der Beginn der Genealogie eines einzelnen Projekts oder der gesamten Arbeit, architekturgeschichtlich zumeist im Dunklen bleibt. Dieser Tatsache wollte die Kuratorin Elke Krasny bewusst etwas entgegensetzen. Sie ist den Spuren des persönlichen Rituals, der ureigenen Herangehensweise an den Schaffensprozess gefolgt. Krasny hat dem Wie des Tuns nachgespürt, und präsentiert nach zweijähriger Feldforschung, unterstützt von Gudrun Hausegger und Robert Temel, eindrückliche und aufschlussreiche Ergebnisse im Architekturzentrum Wien (Az W). — mehr —