DER STANDARD | EDLINGER & DIVJAK | GEMISCHTER SATZ
Edlinger: Herr Divjak, irgendwer hat doch einmal gesagt: Es kommt nicht darauf an, ob man paranoid ist. Es kommt darauf an, ob man paranoid genug ist. In England ist jetzt endlich einmal ein Beleg für diese Behauptung aufgetaucht, die in gewöhnlich gut mit Gerüchten abgefüllten Kreisen ja immer wieder gern gehört wird.
Die Londoner Stadtpolizei hat in einem Problemviertel in Norden der Stadt einen Plattenladen namens “Boombox” aufgezogen. Dort wurde dann über ein Jahr lang mit Überwachungskameras beobachtet, wie die Kids in ihren Hoodies ein und aus gingen und ein paar von ihnen sich mehr für Waffen und Drogen interessierten als für Gangsta-HipHop.
Die Metropolitan Police ist so stolz auf ihre Undercover-Aktion, dass sie Details sogar auf ihrer Website vermeldet. Auf Twitter hat jemand angeblich gemeint, eigentlich hätte man als eines der 37 schuldig gesprochenen Gang-Mitglieder schon auch misstrauisch werden müssen, wenn ausgerechnet in Zeiten der Download-Depression ein Plattenladen aufmacht. Würde mich zudem interessieren, was wohl für Platten verkauft wurden?
Divjak: Herr Edlinger, nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind, hat einmal ein anderer festgestellt. Damit sind wir auch schon beim modischen Kernstück des Exempels: dem Hoodie. Oder genauer: seinem Verbot. Denn mittlerweile gilt in manchem britischen Einkaufszentrum ein striktes Kapuzenverbot.
Was wohl in den internationalen Shoppingmeilen aus Sicherheitsgründen als Nächstes verboten werden wird? Wer weiß, vielleicht erwarten einen ja dort schon bald KonsumentInnenschlangen beim Security-Check wie auf dem Airport?
Fest steht jedenfalls, dass das Kapuzenshirt einen Siegeszug aus der Welt des Sports in die des profanen Lifestyles zurückgelegt hat. Heute verhilft es selbst dem unpolitischsten Fashion-Victim vom Volksschüler bis zum ewig pubertären Kreativindustriellen zu einer demonstrativen Geste à la HipHop. Es ist die Schutzfunktion vor pubertärem Alltagshorror und sozioökonomischem Umfeld gleichermaßen, die diesem Kleidungsstück seine Attraktivität verleiht.
Und genau die Möglichkeit des Verbergens der Physiognomie ihres Trägers versetzt die Gegner in nachhaltige Vermummungspanik. Nun, zugegeben, das mit dem Unkenntlichmachen durch die Kapuze dürfte im Falle der juvenilen Delinquenten im Londoner Polizeiplattenladen nicht ganz funktioniert haben. Sichtbarsein bleibt immer noch eine Falle. Und wie man es dreht und wendet: Irgendwie sitzen wir doch heute alle mehr oder weniger in so einem falschen Laden, umgeben von einer Produktpalette, die so tut, als ob – unter permanenter Beobachtung.
[DER STANDARD | Printausgabe, 29./30. Oktober 2011]