Porträt

Pressestimmen-Auswahl

[Falter]

Es geht ihm gut
Von Sebastian Fasthuber

Der Mann mit der Glatze ist für Überraschungen gut. Zum Falter-Gespräch am Nachmittag vor dem Polen-Spiel erscheint er in einem Hemd mit dem Label „Paul Divjak“ und mit einer Parfumflasche, auf der „Eau de Pologne“ steht. Es bereitet ihm sichtlich Spaß, für ein wenig Verwirrung zu sorgen und den Gesprächspartner, der ihn als Musiker, Filmemacher, Künstler und Autor erwartet hat, gleich zu Beginn aus dem Konzept zu bringen. Modemacher und Duftkreateur ist Paul Divjak also auch noch.
Das Parfum ist ihm anlässlich einer Ausstellung in Polen eingefallen. „Ich habe einfach alles reingeschmissen, was ich mit dem Land assoziiert habe: Brennnessel, Heublumen und natürlich Wodka“, schmunzelt der 37-Jährige. „Man kann es auch trinken!“ Auch das Hemd, das er vorführt, ist natürlich kein gewöhnliches, sondern wurde aus verschiedenen Stoffen zusammengenäht: „Vorne sind es italienische, hinten französische. Ich habe die in einem Laden in einer Holztruhe entdeckt und konnte sie nicht verkommen lassen.“ Wie bei so vielem, was er macht, handelt es sich um einen Grenzfall: Irgendwie ist es Kunst mit Found Objects, andererseits kann man es einfach als schickes Hemd sehen. „Ab Herbst wird es die Kollektion überall geben“, informiert der Designer auf Nachfrage. „Naja, bei H&M vielleicht nicht.“
Wer jetzt denkt, der Mann sei ein Spaßvogel, liegt ganz falsch. Divjak geht seinen Interessen jedoch mit einer Lust nach, die vielen Menschen im Kunstbetrieb fehlt oder irgendwann abhandengekommen ist.

„Eigentlich führt mich die Arbeit immer mehr zu einer Haltung“, sagt er. „Nämlich sich wohlzufühlen mit dem, was man macht, und, auch wenn das jetzt komisch klingt, glücklich zu sein. Ich habe lange Zeit Video- und Soundinstallationen im Museumskontext gemacht. Da gab es immer die Kritik, dass das atmosphärische Dinge sind, die den Betrachter fragen: Wie geht’s dir? Ich finde das aber eine legitime und wichtige Frage.“
Als Kind wollte Paul Divjak Regisseur werden und interviewte Passanten auf der Straße. Nach der Matura studierte er zuerst Bildhauerei, dann die gute, alte Fächerkombination aus Theaterwissenschaft, Publizistik und – vor allem – Philosophie: „Die hatten da einen Hochschullehrgang für Film und Kulturwissenschaften, wo viele Vortragende aus dem Ausland kamen. Ich sage nur: Hardcoretheorie! Das hat vom Denken her viel weitergebracht.“ Die praktische Arbeit begann mit Kurzfilmen und Videos, die oft bewegte Bilder zu Sounds von befreundeten Musikern wie Bernhard Fleischmann oder Hans Platzgumer boten und über Sixpackfilm als „Austrian Abstracts“ vermarktet wurden.
Dass Divjak inzwischen selber Musik macht, sei einem glücklichen Zufall zu verdanken. „Ich war mit einer Videoinstallation in Deutschland. Ein Labelbetreiber aus Berlin hat mich mit dem Nachbarbeitrag verwechselt und um einen Track gebeten. Ich habe zwar Klavier gelernt und mal in einer Band gespielt, aber das war schon einige Zeit her. So habe ich mir halt schnell von Bekannten die nötige Musiksoftware besorgt und losgelegt.“
Den Vorwurf, ein Generaldilettant und Hans Dampf in allen Gassen zu sein, bekommt er öfter zu hören. Er ist ihm herzlich egal. „Vielleicht hat der Hans Dampf sogar einen Vorteil“, gibt er zu bedenken. „Viele Chancen hätten sich nie ergeben, wenn ich immer nur Kunst oder Film gemacht hätte. Bei mir sind die Schubladen eben alle parallel geöffnet. Sicher ist es oft eine Gratwanderung. Aber das bin eben ich.“
Freilich macht Divjak keine halben Sachen. In die Musik hat er sich in den letzten Jahren gründlich eingearbeitet („Mir ist es wichtig zu wissen, in welches Referenzsystem man sich einschreibt“), und mittlerweile kann er zur internationalen Spitze des Ambient gezählt werden. Mehr noch als das letzte Album „Rauschgold“ ist das aktuelle, „Aural Siesta“, eine feine Ansammlung von Soundminiaturen, die sich zum Nebenbeihören wie zum konzentrierten Lauschen eignen. „Das Abmischen hat zwei Monate gedauert“, sagt Divjak. Dabei hat er aber auch kein Problem damit, wenn die CD als Gebrauchsmusik eingesetzt wird: „Ich kriege tolles Feedback von Leuten, die sie für Yoga oder Meditation verwenden. Die sind total dankbar, weil dafür sonst nur nervige Kitsch-CDs produziert werden.“
Als weiteres Standbein hat sich nach und nach das Schreiben herauskristallisiert. Schon seit 1998 erscheinen in Verlagen wie der leider nicht mehr existierenden Edition Selene immer wieder Bücher unter seinem Namen. Seinen bislang größten Coup als Autor aber landete er im vergangenen Jahr mit dem furiosen Prosamonolog „Kinsky“ (eine Art „Austrian Psycho“, erschienen im Czernin Verlag), der ihm unter anderem eine ausgesprochen freundliche Rezension in der Süddeutschen Zeitung einbrachte. Im Herbst kommt bei Ö1 eine Hörspielfassung davon. Der Leser darf raten, wer für sie verantwortlich zeichnet.
Noch etwas? Ja, Theaterstücke schreibt Divjak auch noch. 2005 wurde „sofa surfen“ im Burgtheater-Kasino uraufgeführt. Gerade hat er für sein kommendes Stück „Die Müllinsel“ den Theodor-Körner-Preis erhalten: „Da geht es um diverse Müllskandale in Europa. Ich habe Raimunds ,Barometermacher auf der Zauberinsel‘ als Hintergrundschablone verwendet und verschiebe das in Richtung eines Müllbarons, der ein fiktives Inselreich beherrscht.“

Sollte noch ein wenig Zeit bleiben, dann fotografiert der zwischen einer Wohnung im 9. und einem Atelier im 17. Bezirk Pendelnde gerne, pflegt seine Sammlungen von Musikkassetten und diversen Video- und Filmformaten, oder er verfasst Texte zur Architektur und Werbesprüche für Industrieroboter. „Es gibt keinen Themenbereich, wo man nicht auf ganz spannende Sachen stoßen würde“, glaubt er. „In viele Gebiete könnte man sich in ein paar Tagen so weit einarbeiten, um im Fernsehen als Experte dazu auftreten zu können. Zum Glück bin ich jedoch ein bisschen weggekommen vom zwanghaften Ansammeln. Jahrelang habe ich auch Nachlässe aus Mülltonnen gefischt. Man ist um einiges freier, wenn man das nicht muss.“
Fehlt nur noch eines, und Divjaks Liste wäre komplett (Ausdruckstanz will er als Kunstform für sich eher ausklammern): „Irgendwann möchte ich einen Spielfilm machen.“ Und einen Falter-Artikel über ihn hat es bislang komischerweise auch noch nicht gegeben, oder? „Stimmt nicht. Ich bin 1994 oder 1995 einmal als Manager eines falschen dänischen Künstlerduos, das ich mit einem Freund gemacht habe, befragt worden.“ Das schaut ihm ähnlich.
[25/2008]

[Ö1, Diagonal]

newstextfilmsoundfoto
Der Multitaskingkünstler Paul Divjak
Von Thomas Mießgang

Beim Wort Meisterschaft müsse er immer an Fußball denken, sagt Paul Divjak über seine Arbeitsweise, aber nicht an ästhetische Vollendung.

Draußen ist es Nacht, und es ist dunkel. Hinter den Schleiern des Pianos begleitet uns der Rhythmus verschleppter Beats durch die goldene Dämmerung in den Traum. Die letzten Bilder des Tages bespielen die innere Leinwand, die Geräusche ziehen in endlosen Loops durch das Unterbewusstsein. Leicht ist der Schlaf im ersten Licht des Morgens.

Musik, wie auf der neuen CD “Rauschgold” als kollaboratives Projekt mit Bernhard Fleischmann exekutiert, ist ein Modus, in dem die kreative Energie von Paul Divjak zu wirken beginnt. Doch es gibt noch zahlreiche andere ästhetische Ausdrucks-Levels , zwischen denen der Künstler nach Belieben hin- und herschaltet.

Paul Divjaks Kunst ist ein Sample-Fest mit hohen Rausch- und Knisteranteilen, Melancholie unter Wiederholungszwang, urbane Tristesse in akustische Gaze-Schleier eingewebt.

Zwischen Rhiz und Burgtheater

Gerade ist unter dem Namen “Kinsky” ein Textbrocken zur Welt gekommen, der vom Verlag sicherheitshalber als Roman bezeichnet wurde. Letztes Jahr erschien “Alpine Interventionen”, ein Fotoband, in dem Lawinen- und Wildbachverbauungen mit der Fachkamera dokumentiert werden und zahlreiche Gastautoren in Essays über das prekäre Verhältnis von Natur und zivilisatorischen Eingriffen räsonieren.

Ebenfalls 2006 fand die Uraufführung des Theaterstücks “sofa surfen” im Burgtheater Kasino am Schwarzenbergplatz statt. Dazwischen: Auftritte unter dem Namen “Am Kassettendeck” im Wiener Elektronikschuppen Rhiz, Installationen in Kunstgalerien, experimentelle Film- und Videoarbeiten.

Paul Divjak selbst hat sein Multitasking in eine griffige Formel gepackt: “newstextfilmsoundfoto”. Ein Wort, wohlgemerkt. Keine Risse, Brüche, sondern nahtlose Übergänge zwischen den Genres. Ideen, die ungeformt im Kopf herumspuken und sich dann einen Kanal suchen, wo sie materielle Dichte und pointierte Zuspitzung erlangen.

Autor? Dilettant? Glasperlenspieler?
Paul Divjak, geboren 1972 in Wien, Vater Philologe, der an der Uni das Latinum abnimmt. Norm-Kindheit im erwachenden urbanen Milieu, Anschluss an die einschlägigen Elektronik- und Club-Szenen, altersadäquate Lektüren von Handke bis Paul Nizon, versetzt mit einem Hang zur Theorie.

Schon im Alter von 13 Jahren Streifzüge mit der Super-8-Kamera durch die Straßen von Wien. Suchen, Recherchieren, Dokumentieren, Katalogisieren – das sind Leitmotive, die die Arbeit von Divjak bis heute bestimmen. Wenn er von seinen Zufallsfunden erzählt, dann schwingt Begeisterung in Divjaks Stimme mit. Zum Beispiel: Neulich in der Lerchenfelderstrasse. Neben einer Mülltonne liegt ein altes Familienfoto mit gezacktem Rand. Aus den realen oder imaginären Mülltonnen der Geschichte aber gewinnt Paul Divjak das Rohmaterial für seine künstlerische Erinnerungsarbeit, seien es nun gefundene Texte, Found Footage oder Klänge die vergangene Epochen mit Flitterglanz bestäubt haben. Hören Sie mehr dazu im Audio am Kopf der Seite.

Seine formale künstlerische Ausbildung hat Paul Divjak im Bereich Film absolviert. Aber schon damals bastelte er an einer Ästhetik des Widerstands. Folgerichtig bildet sich in Divjaks Filmen und Videos sein künstlerisches Weltbild wie in einer Nussschale ab: Da gibt es Flickerarbeiten in der Tradition von Stan Brakhage, aus Einzelbildern montierte Slide Shows und Found-Footage-Werke, die in Loops kollektive Erinnerungsspuren umkreisen. Ein Werk mit dem Titel “Souvenirs” aus dem Jahr 1995 brennt sich besonders nachhaltig auf der Netzhaut ein.

Ein koloriertes Nichts

Auf der Tonspur trägt Österreichs beliebtester Barde, Peter Alexander, im Ruhestand mit stimmlichem Schmelz das Schmalz der frühen Jahre pastos auf, auf der Mattscheibe passiert – nichts. Das heißt: Fast nichts. Ein zartes altrosa Flackern, zitternde Monochromie. Der Kodakfilm in der Kamera sei abgelaufen gewesen, erzählt Paul Divjak. Und an die Stelle technisch reproduzierter Gegenständlichkeit rückte das kolorierte Nichts als Projektionsfläche. Auch hier wieder: Der Zufall hat Regie geführt. Und es ward gut.

Gefühl und Leere, Seinsfülle und ihre bleichen Skelette als Gespenster aus der globalisierten Existenzwüste, materielle Substrate gelebten Lebens und ihre digitalen Schattenrisse – das sind wesentliche Parameter innerhalb derer Paul Divjak seine Versuchsanordnungen arrangiert. Das hat ihm gelegentlich auch Kritik eingetragen. Man habe ihm, gerade in der Filmszene vorgeworfen, ein Pathetiker zu sein, erzählt der Künstler – was in der hornbebrillten Welt der Feinstrukturanalyse offenbar als Kapitalverbrechen gilt.

Endloser Remix der Möglichkeiten

Darüberhinaus ist die Vielfalt der künstlerischen Betätigung, das scheinbar mühelose Grenzüberschreiten vielen ein Dorn im Auge. Das gibt’s doch nicht, dass einer einfach alles kann. Kann er auch nicht. Divjak ist der erste, der zugibt, dass nicht alle Hervorbringungen unter seiner künstlerischen Regie gelungen sind. Beim Wort Meisterschaft müsse er immer an Fußball denken, sagt er, aber nicht an ästhetische Vollendung. Es geht um Versuch und Irrtum, um das Testen von Möglichkeiten und Grenzen des kreativen Energieflusses. Und gelegentlich um ein Umlenken, wenn ein Kanal verstopft ist. Dann wird ein Roman zum Theaterstück oder ein Foto zu einem Erzählpartikel. Endloser Remix der Möglichkeiten, der Weg als Ziel mit gelegentlichen Zwischenstopps, an denen die Kunst Produktcharakter erhält. [06/2007]

[Profil]

Kunsttanzbär
Unter Österreichs jungen Autoren ist Paul Divjak der arbeitswütige Mehrspartenartist. Nun erscheint sein erster Roman.
Von Wolfgang Paterno

Paul Divjaks Achtsamkeit wird blitzschnell gebannt, sobald Clowns etwa den Spaß am Clownsein verlieren und Geschichtenerzähler ins Lügenverbreiten verfallen. Ende der neunziger Jahre verdingte sich der Student beispielsweise als Statist am Burgtheater, auf dem Spielplan stand Kindertheater: „Enrico und seine Tiere“, präsentiert von TV-Clown Enrico alias Kammerschauspieler Heinz Zuber. Divjak war der „Zirkusdiener Paul“, ein gewisser Stefan Griebl, der später unter dem Künstlernamen Franzobel als Autor Bekanntheit erlangen sollte verkörperte den „Zirkusdiener Stefan“: Die beiden Sekudanten halfen Enrico aus einem mannshohen Kürbis, einem Riesenstoffkrodil öffneten sie für das Kopfversenkungskunststück den Schlund. Beim Auftritt der Tanzbären geschah es: Einige Kinder wagten sich verbotenerweise auf die Bühne, die Schauspieler im Fellkostüm übersahen die überraschend hinzugekommenen Mitwirkenden – und trampelten über diese hinweg.

Schimpftirade. „Zuber trällerte sein Lied tapfer zu Ende Zugleich drehte er sich ruckartig um und zischte in Richtung Vorhang: „Ihr Deppen! Schafft die Kinder sofort weg!“ Ein erhebender Augenblick: Ein Spaßmacher, der Schimpftiraden abfeuert, erinnert sich Divjak an den Moment in dem Vorstellung und Inszenierungswille auseinanderfielen. Während der häufigen Spielpausen des Puppentheaters war zwischen den beiden Zirkusbediensteten Paul und Stefan von Literatur die Rede, uneingeschränkt und uferlos.
1999 veröffentlichte Divjak seinen Erstling, den Erzählband „eisenbirne“, in dem auch der Protagonist ein Opfer verschärfter Gegensätze wird: Der namenlose Held sehnt sich darin nach Leichtigkeit und Erdenschwere zugleich, und er kann sich zwischen zwei Frauen nicht entscheiden.

In seiner Arbeit widmet sich Divjak, Jahrganz 1973, seit je der planvollen Verdrehung der Wahrheit und der gründlichen Untersuchung all der Verästelungen der Realität, und das auf multiple Art: Auf seiner Homepage hat er für seine mal geglückten, mal im Kern etwas unausgereiften Kunstgrenzüberschreitungen das Begriffsmonster „newstextfilmsoundfoto“ gewählt. Divjak vermisst die, zumindest in seiner Wahrnehmung, äußerst brüchige Wirklichkeit, das Wechselspiel von Sichtbarem und Verborgenem, mit Filminstallationen, Ausstellungen, Ambient-Alben (zuletzt das Klangrauschopus „rauschgold“) oder Fotos – im Vorjahr veröffentlichte der Mehrsparten-Artist etwa den Bildband „Alpine Interventionen“ (Folio Verlag), in dem Divjak Wildbach- und Lawinenverbauungen in den Vorarlberger Alpen dokumentierte.

Divjaks Textproduktionsmaschinerie und sein Erfindungsdrang – der ihn mitunter zu viele Ideen auf den Teller packen lässt – läuft seit Jahren hochtourig: Sein Werkverzeichnis umfasst Essays, Theaterstücke („sofa surfen“, 2005), Hörspiele, Erzähl- und Prosabände. „Kinsky“, der erste, mit Schwung und Witz (und passagenweise mitunter überkandidelt) erzählte Roman des Vielbeschäftigten, wirkt nun wie ein Divjak-Extrakt aus seinen bisherigen Themen und Weltbetrachtungen.

Mickerling. In „Kinsky“ tritt ein Prachtkerl von Wahrheitsverdreher auf, ein Sprengmeister der Alltagsnormalität. Der titelgebende Protagonist, der im Buch seinen jähen Fall vom millionenschweren Wall Street Broker zum verdeckten Ermittler und Drogenabhängigen schildert, ist zudem ein wahnwitzig überdrehter, oft kopflos wirkender Monologisierer: „Der Größere gewinnt immer! Das kriegen wir mit. So erziehen wir unsere Kinder! So leben wir! Das ist unsere Welt. Das Leben ist ein Haifischbecken. Der größere Fisch gewinnt, Mann! Aber: Hast du schon einmal einen Hai erlebt, der einen Wal gerissen hat!“
Ein demoliertes Ich sitzt im tiefen Keller, sein Schrei nach Hilfe ist in „Kinsky“ dokumentiert.

Wie bereits in „hinter der barriere“ (2007), einem Band mit Erzählminiaturen, bildet eine tatsächliche Begebenheit den Hintergrund des Romangeschehens: Divjak, ein langsamer Brüter und schneller Handwerker, lernte vor Jahren einen nicht sonderlich wohlgelittenen Abkömmling jener Familie kennen, die einst dem Barockschloss in der Wiener Innenstadt seinen Namen verlieht. „Kinsky“ ist folgerichtig ein Verwirrmoment vorangestellt: „Nach den Erzählungen des Grafen Kinsky von Wchinitz und Tettau.“

Jede Gespaltenheit birgt Überraschungen“, sagt Divjak. Er sitzt, die Sonne brennt auf das rasierte Haupt, im Garten des ehemaligen Klimt-Ateliers, zu nicht näher definierten Forschungszwecken. Gut möglich, dass sich Spuren des Nachmittags eines Tages in einem Text, einem Soundfile, einer Filmsequenz finden. Kinsky, der großsprecherische Mickerling aus dem gleichnamigen Buch, hadert jedenfalls, wohl ein Echo auf den schimpfenden Spaßverkäufer aus Divjaks Jugendtagen, wiederholt mit seinem „Pausenclown-Dasein.“
[#22, 25.5.2007]

[Der Standard]

Paul Divjak: Die Lücke als Chance
Christian Schachinger

Der Wiener Multimedienkünstler präsentiert am Freitag seine neuen literarischen und musikalischen Arbeiten live am Brunnenmarkt in Ottakring. Der Wiener Autor, Elektronikmusiker und Multimediakünstler veröffentlicht mit “Hinter der Barriere” chronikale Kurzgeschichten mit dem Drall ins Absurde – und gleichzeitig ein nachtwandlerisches Album namens “Rauschgold”.

Wien – Der deutsche Dramatiker Heiner Müller bekannte einmal in einem Interview, sich auf jeden Österreichbesuch ungemein zu freuen. Immerhin würde er sich immer gleich nach der Ankunft im Hotel auf die Chronikmeldungen in den lokalen Zeitungen stürzen. Von wegen: In keinem anderen Land Europas könne man über derart unterhaltsame – und vor allem liebevoll dokumentierte – Todes-, Sittenverfälle und all die anderen bis ans Blut gehenden Tragödien lesen. Anderswo mögen Gift, Pistole und Strick regieren. In Österreich komme mitunter auch eine Bratpfanne kreativ zum Einsatz. Darüber hinaus beinhalte gerade der Gerichtsteil einer hiesigen Zeitung auch ohne Blutvergießen und letale Auswege genügend Potenzial, um literarisch gelegentlich den exemplarischen Fall proben zu können.

Der 36-jährige Autor, Elektronikmusiker, Videomacher, Dramatiker, bildende Künstler und überhaupt Prekariatsvorzeigekünstler Paul Divjak mag zwar bei seiner neuesten Arbeit, der jetzt im Klagenfurter Ritter Verlag erschienenen, ja was, Kurzgeschichtensammlung Hinter der Barriere eher an die Modernisierung einer vom heimischen Sarkasten Thomas Bernhard beeinflussten Umdeutung zünftiger rustikaler Katastrophen ins urbane Bildungsbürgermilieu gedacht haben.

Allerdings findet die alte deutsch-österreichische Lustachse bezüglich großer Tragödien im kleinen, sich noch dazu genüsslich selbstzerfleischenden Rahmen mit den 62 zwar teilweise frei erfundenen, aber alles andere als aus der dünnen Luft des poetischen Gedankens gegriffenen Kurz- und Kürzestgeschichten Divjaks eine folgerichtige, von jedem chronikalen Ergriffenheitsdenken entschlackte Entsprechung. Dies ist Literatur für unsere eiligen Tage. Paul Divjak im Standard-Interview: “Je älter ich werde, desto mehr leide ich bei der Lektüre all dieser nur der eigenen Werkkanonisierung dienenden 300- bis 600-seitigen Streberromane. Die mögen ja alle als Weihnachtsgeschenke taugen. Und ich schätze beispielsweise einen Autor wie Franzobel als persönlichen Freund. Aber wer liest schon einen Ziegelstein wie Fest der Steine wirklich? Keiner.”

Risse im System
Zwischen der Arbeit an einem heuer ebenfalls veröffentlichten Foto-/Essayband namens Alpine Interventionen (Verlag Folio) über die Wildbachverbauung in Vorarlberg, seinem daheim auf dem Laptop unter Mithilfe des heimischen Elektronik-Stars und Freundes Bernhard Fleischmann entstandenen, jetzt parallel zu Hinter der Barriere veröffentlichten dunkelromantischen wie somatisierenden Ambientpop-Albums Rauschgold (Vertrieb: Hoanzl) und der Arbeit an einem neuen Theaterstück namens Haus der Kunst versucht Paul Divjak dabei, neben fotografischen und musikalischen Regelwerken auch die Sprache der Printmedien zu ergründen.

Nach Prosaveröffentlichungen wie Lichtstunden oder Schattenfuge taucht Divjak dabei unter strenger Umgehung des von ihm wenig geschätzten Begriffs der immer auch das eigene mediale Umfeld verhandelnden Popliteratur tief in die von jedem Jungjournalisten zu Recht gehasste, also notorisch unterbewertete Form der chronikalen Kurzmeldung ein. Eine Pflicht- wie trotz späterer Berufserfahrung chronisch unterschätzte Übung in Reduktion der menschlichen Tragödie auf das kollektive – und dadurch letztlich hochkomische! – Erleichterungsgelächter angesichts des tagtäglichen Entsetzens. Vor dem kommen wir Leser selbst immer wieder gerade noch einmal davon.

Die Geschichten Divjaks verhandeln – “humorig, um Gottes willen nicht zynisch!” – speziell auch die eigenen Lebensumstände des Autors. In einem urbanen Raum zwischen Theaterleuten, Kunst- und Künstlervolk, so genannten begleitenden “Kreativberufen” und wohlstandsverwahrlosten Bewohnern der Innenstädte wird tief in den Eingeweiden einer darüber nichts mehr ernst nehmenden Generation gewühlt. Deren äußere Fassade hält neben der gesellschaftlichen Norm der Erfüllungspflicht an der bürgerlichen Front eben nur noch das scheinbar objektive Kriterium des sprachlichen Formalismus zusammen.

In diesen chronikalen Berichten über glücklose “Interventionen im öffentlichen Raum” von Künstlern im King-Kong-Kostüm, missglückte Gruppenselbstmorde von Mittelschülern, Dichter in abstürzenden Flugzeugen oder Museumsdirektoren im Puff entstehen bei aller lapidaren Schmucklosigkeit schließlich verstörende Risse. Leonard Cohen dazu in seinem alten Song Anthem: “There is a crack in everything, that’s how the light gets in.” Die Lücke als Chance. Verstörung, Ernüchterung, Erleuchtung? Wir haben hier jemanden, der zumindest das Licht anmacht. Und zwar, wie Divjak sagt, “mit dem moralischen Keulchen”. Das ist der Hammer!
[15.12.2006]



Das war Pop

Thomas Edlinger: Über Pop und Paul Divjak

Einleitung anlässlich der Buchpräsentation im Literaturhaus Wien, 21.3.2014

Vorgestern Abend bekam ich ein E-Mail mit einer Ankündigung einer Kunstaktion am Wiener Heldenlatz – es ging um eine temporäre Schriftinstallation – am Wiener Heldenplatz wurden im März letzten Jahres Gras-Samen mit der Aufschrift Schalom gesät, nun wird Ende März eine Ausstellung eröffnet, die das Wachstum dieser Saat auf dem Platz dokumentiert. Einer der Projektbetreiber heißt Paul Divjak – hier in seiner Funktion als bildender Künstler.

Das letzte Mal habe ich Paul nicht als Bildenden Künstler, sondern als Konzept-Popmusiker erlebt – gemeinsam mit Wolfgang Schlögl, selbst ein umtriebiger Musiker, verantwortet er als Team Tool Time das Album Bee Pop – ein abwechslungsreicher Techno-Ambient Soundtrack, basierend auf den Sounds, die Bienen gerieren. Paul Divjak, man muss es so sagen, ist ein sehr neugieriger Mensch, der sich weder auf Medien noch auf Formen und auf Inhalte festlegen lässt. — mehr —